«Die Energiewende ist sichtbar geworden»
Der abtretende Verwaltungsratspräsident Franz Stampfli sowie der stellvertretende CEO über ein Jahr voller Veränderungen und die Herausforderungen, die auf Energie Wasser Bern im 2022 zukommen werden.
Im Gespräch mit Franz Stampfli, Verwaltungsratspräsident, und Marcel Ottenkamp, stv. CEO
Das Jahr 2021 stand für ewb im Zeichen der Veränderung. Was nehmen Sie aus dem vergangenen Jahr mit?
Franz Stampfli (FS): Für mich war es ein sehr intensives letztes Jahr als Verwaltungsratspräsident von Energie Wasser Bern. Ich bin sehr froh, dass ich diesen Stab an Michel Kunz, den bisherigen Vizepräsidenten, weiterreichen kann. Er ist mit dem Unternehmen und dessen Herausforderungen bereits bestens vertraut. Überdies bringt Michel Kunz wertvolle und breite Erfahrungen mit aus seinen früheren Funktionen in Infrastrukturunternehmen. Auch mit der Neubesetzung der Stelle der CEO durch Cornelia Mellenberger bringen wir eine junge Führungskraft an die Spitze von ewb, die aber bereits über viel Erfahrung verfügt im politisch geprägten Umfeld eines Unternehmens, das dem Service Public verpflichtet ist.
Marcel Ottenkamp (MO): Auch ich blicke auf ein ereignisreiches Jahr zurück. Eine wichtige Erkenntnis ist, wie erfreulich flexibel sich Energie Wasser Bern auf neue Situationen einstellen kann. Dies bezieht sich sowohl auf personelle oder strukturelle Veränderungen als auch auf die Unabwägbarkeiten im Umgang mit der uns allen bekannten Pandemie. Die Erfüllung unseres Grundversorgungsauftrags stand auch im vergangenen Jahr im Vordergrund. Neben der Erfüllung des Leistungsauftrags haben wir aber auch wichtige Fortschritte im Umbau unserer Anlagen und Netze Richtung erneuerbare Energieversorgung erzielt.
«Die Erfüllung unseres Grundversorgungsauftrags stand auch im vergangenen Jahr im Vordergrund.»
Marcel Ottenkamp, stv. CEO
Können Sie ein paar Beispiele für diese Fortschritte nennen?
FS: Man kann in der Tat sagen, dass die Energiewende wortwörtlich sichtbar geworden ist in Bern. Momentan vor allem in Form von Baustellen in fast allen Quartieren. Dabei sind wir uns aber auch bewusst, dass diese für die Bevölkerung natürlich auch mit einer gewissen Belastung verbunden sind, und sind froh um das Verständnis, das uns entgegengebracht wird. Eine Vielzahl unserer Projekte konnte im vergangenen Jahr von der Planung in die Umsetzung überführt werden. Jetzt gilt es, die Vorhaben in der von uns gewohnten Qualität fertigzustellen und in Betrieb zu nehmen.
MO: Im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit standen sicher die Baustellen des Fernwärme-Ausbaus im Neufeld und an der Murtenstrasse. Im vergangenen Jahr haben wir mit den zwei Transportleitungen die Hauptschlagadern der künftigen Wärmeversorgung gebaut, sodass wir bereits ab nächstem Jahr mit dem Bau des Verteilnetzes in den Quartieren beginnen können. Mit dem Generationenprojekt «Ausbau Fernwärme» leistet Energie Wasser Bern für die Stadt Bern einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung des Richtplans Energie und schafft die Grundlage der künftigen Wärmeversorgung. Aber auch hinter den Kulissen haben wir uns für die Erreichung der Klimaziele eingesetzt. Dies im Rahmen einer Mitwirkung in einer Begleitgruppe in Zusammenhang mit dem «Runden Tisch Wasserkraft» vom UVEK. Das Spannungsfeld im energiewirtschaftlichen Dreieck (Klimaziele, Versorgungssicherheit sowie Wirtschaftlichkeit) wird uns sicher auch weiterhin beschäftigen. Unser Augenmerk richtet sich hier auf die korrekte Bereitstellung und Verteilung der nötigen Energiemengen zu jeder Zeit. Mit anderen Worten: Neben der eigentlichen nachhaltigen Energieerzeugung, die zunehmend volatil wird, sind wir vor allem in Sachen Speicherung zunehmend als Unternehmen und auch als Gesellschaft insgesamt gefordert.
Gerade was das Thema Nachhaltigkeit betrifft, war das vergangene Jahr ja eher ein Rückschritt – oder wie beurteilen Sie die Auswirkungen der abgelehnten Abstimmung zum CO2-Gesetz?
FS: Einerseits wäre ein gesetzlich festgelegtes CO₂-Reduktionsziel im Inland sehr wichtig gewesen und hätte mitgeholfen, mit den richtigen Anreizen ein Umdenken und Handeln in der Gesellschaft zu bewirken und Investitionssicherheit für den Ausbau von erneuerbaren Technologien zu gewährleisten. Andererseits bestätigt uns ja die rekordhohe Zustimmung der Stadtbernerinnen und Stadtberner mit über 77 Prozent Ja-Stimmen, dass wir die strategischen Weichen bereits vor langer Zeit richtig gestellt haben. Deshalb werden wir auch den Weg der Klimaneutralität, den wir vor rund 20 Jahren eingeschlagen haben, weitergehen und unsere zentralen Beiträge zum Ziel der Stadt, den CO₂-Ausstoss auf unter eine Tonne pro Kopf zu senken, leisten. Die Debatte um das schliesslich gescheiterte CO₂-Gesetz hat aber deutlich gemacht, dass die Energiewende nicht gratis und ohne Einschränkungen zu haben ist. Zielkonflikte sind unvermeidbar und Energie Wasser Bern ist diesen auch immer wieder ausgesetzt.
MO: Neben dem Umbau der Wärmeversorgung leistet unser Unternehmen auch einen wichtigen Beitrag zur Elektrifizierung und Dekarbonisierung der Mobilität. Energie Wasser Bern betreibt ein Netz mit bereits 59 öffentlichen Ladepunkten. Überdies testen wir in einem schweizweit einzigartigen Pilotprojekt, inwieweit sich Masten der öffentlichen Beleuchtung zum Laden von E-Fahrzeugen eignen werden.
Dieses Jahr war aber nicht nur der Klimawandel Gegenstand öffentlicher Debatten. Die ElCom veröffentlichte eine Studie, wonach der Schweiz ab 2025 eine Strommangellage drohen könnte, weil kein Energieabkommen mit der EU zustande gekommen ist.
FS: Hier ist ganz klar der Gesetzgeber gefordert, die Grundlagen zu schaffen, um bestehende Interessenkonflikte aufzulösen und die Förderung der einheimischen Stromproduktion, beispielsweise durch Wasserkraft, weiter voranzutreiben. Strom aus gespeicherter Wasserkraft ist weitgehend wetter- und jahreszeitenunabhängig, gut plan- und verfügbar, weitgehend CO₂-neutral und macht uns unabhängiger von der ausländischen Produktion. Dies ist insbesondere in den Wintermonaten zunehmend nötig.
«Der wichtige erreichte Meilenstein war sicher die strategische Neupositionierung von ewb zum Gesamtenergiespezialisten.»
Franz Stampfli, Verwaltungsratspräsident
MO: In technischer Hinsicht gilt es dabei zu bedenken, dass die Stadt Bern nicht autark agieren kann und soll, sondern in das schweizerische Stromnetz eingebunden ist. Deshalb wirkt Energie Wasser Bern auch aktiv in der Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen (OSTRAL) mit und bereitet mit ihr Massnahmen zur Vermeidung einer Strommangellage bzw. zur Verminderung dieses Risikos vor. Die Turbulenzen an den Brennstoffmärkten im vergangenen Jahr haben uns unsere Abhängigkeit vom Ausland aber nochmals eindrücklich vor Augen geführt. Dank einer langfristigen und sicherheitsorientierten Beschaffungsstrategie konnten wir die teilweise massiven Preiserhöhungen etwas abfedern.
Zum Abschluss noch eine Frage an den abtretenden Franz Stampfli. Wenn Sie zurückblicken auf die vergangenen 11 Jahre als Verwaltungsratspräsident bei ewb, worauf sind Sie am meisten stolz?
FS: Sicher auf die strategische Neupositionierung von ewb zum Gesamtenergiespezialisten. Wir haben mit unserer Strategie ein Denken bei den Mitarbeitenden und Prozesse bei Energie Wasser Bern implementiert, die gewährleisten, dass die Kundenbedürfnisse und die Infrastruktur des Unternehmens bestmöglich aufeinander abgestimmt werden, um das Gesamtsystem zu optimieren. Unsere Marktpositionierung ist klar und wir werden von unseren Kundinnen und Kunden als verlässlicher Partner wahrgenommen, der lokal verankert ist.
MO: Ich möchte Ihnen an dieser Stelle im Namen der gesamten Belegschaft des ewb für Ihren grossen und langjährigen Einsatz danken.